Das Bundesjugendballett ist ein lang gehegter Traum von mir.

 
Diese Kompanie soll jungen Tänzern nach Abschluss ihrer Ballettausbildung wertvolle Erfahrungen vermitteln.
Nachdem sie sich jahrelang auf das Erlernen einer schwer zu beherrschenden Technik konzentriert haben, können sie hier neben der Kreativität auch die menschliche Seite ihres Charakters entwickeln. Denn Tanz ist eine große Kunst, die den ganzen Menschen betrifft.

Ein wesentlicher Aspekt des Tanzes ist die Kommunikation - von Mensch zu Mensch. Die Mitglieder des Bundesjugendballetts haben die Möglichkeit, diese Dimension ihres zukünftigen Berufs jenseits technischer Virtuosität zu erkunden: zum Beispiel, indem sie auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen zugehen und ihnen eine neue Welt eröffnen - als professionelle Tänzer, die ihr Herz öffnen und diesen Kindern etwas bringen. Das Bundesjugendballett ist eine Gruppe junger Tänzerinnen und Tänzer, die durch die Menschlichkeit ihres Berufes andere Menschen bewegen.

Die Heimat des Bundesjugendballetts ist das Hamburg Ballett Zentrum - so wie es auch für das Hamburg Ballett und unsere Ballettschule gilt. Doch anders als die Theaterklassen und viele junge Kompanien in aller Welt arbeitet das Bundesjugendballett eigenständig und ersetzt nicht die Programme des Hamburg Balletts.

Das Bundesjugendballett sucht nach Orten der Kommunikation: in Diskotheken, Altenheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen. Um diese Erfahrung so lebendig wie möglich zu gestalten, arbeitet es bewusst mit jungen Musikern. Diese sind auch buchstäblich "in Bewegung", was in zahlreichen Projekten inszeniert wird.

Durch meine Erziehung ist mir immer klar gewesen, dass man sich durch gewissenhafte Arbeit Anerkennung verdienen muss. Insofern habe ich verstanden, dass die Förderung des Bundesjugendballetts zunächst als "Pilotprojekt" für zwei mal vier Jahre bewilligt wurde. Inzwischen hat diese kleine Kompanie aber so viel erreicht, dass sie es verdient hat, weiter zu existieren. Es ist an der Zeit, das Bundesjugendballett als Institution anzuerkennen!

Die Kompanie ist Ausdruck einer liberalen deutschen Mentalität, die nationalistischem Gedankengut keinen Raum gibt.

Ich bin 1963 als Amerikaner nach Deutschland gekommen: in eine deutsche Kompanie in Stuttgart, wo jeder dritte Tänzer aus dem Ausland kam. Schon damals wurde diese Konstellation als strategischer Vorteil gesehen - um die Qualität des Tanzes zu sichern. Inzwischen empfinde ich diesen Ansatz als ausgesprochen "deutsch". Deshalb habe ich den Zugang zum Bundesjugendballett nicht auf Tänzerinnen und Tänzer mit deutschem Pass beschränkt.

Jedes Mal, wenn ich eine Probe oder eine Aufführung des Bundesjugendballetts sehe, bin ich tief bewegt von der vorbehaltlosen Ehrlichkeit, mit der die jungen Tänzerinnen und Tänzer den emotionalen Gehalt der Choreografien vermitteln. Diese Erfahrung allen Menschen zugänglich zu machen - über soziale und kulturelle Barrieren hinweg - ist der zukunftsweisende Anspruch, für den das Bundesjugendballett mit seiner Existenz steht.

John Neumeier